Blaulichtgottesdienst 2023

Predigt beim Landesweiten Niedersächsischen Blaulichtgottesdienst 8. September 2023

Bischof Ralf Meister

Als Jesus nach einigen Tagen wieder nach Kafarnaum hineinging, wurde bekannt, dass er im Hause war. 2 Und es versammelten sich so viele Menschen, dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war; und er verkündete ihnen das Wort. 3 Da brachte man einen Gelähmten zu ihm, von vier Männern getragen. 4 Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen die Decke durch und ließen den Gelähmten auf seiner Liege durch die Öffnung hinab. 5 Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! (Markus 2, 1-5, Einheitsübersetzung)
Liebe Einsatzkräfte, liebe Gemeinde,
eine biblische Erzählung über ein besonderes Teamwork, Kameradschaft. Es ist eine merkwürdig stumme Erzählung. Der Gelähmte selbst schweigt. Auch seine Freunde, die ihn über das Dach zu Jesus bringen, sagen kein Wort. Böse Zungen behaupten, dieses läge daran, dass es Männer sind. Wenn es Frauen gewesen wären, wäre solches Schweigen nicht denkbar gewesen. Ihre Namen werden nicht genannt. Wir wissen nicht, woher sie kommen, wir wissen auch nicht, wohin sie anschließend gehen. Wir hören keine Klage über die Not, keine Bitte um Hilfe. Keine Schilderung über all das, was sie vorher schon unternommen haben. Sie wissen genau, was sie tun müssen, um ihren Freund zu dem zu bringen, von dem sie glauben, dass er helfen kann. Sie handeln, ohne großes Palaver. Hand in Hand.
„Kameradschaft bedeutet, dass alle an einem Strang ziehen. Dass man sich blind aufeinander verlassen kann. Fragen lauten bei Kameradschaft nicht ‚Warum?‘ oder ‚Weshalb?‘, sondern ‚Wann?‘ und ‚Wo?‘. So sagt Thomas in einer Umfrage unter jungen Einsatzkräften. Er ist 16 und Mitglied in einer Jugendfeuerwehr. Das „Wann“ und „Wo“ scheint für die vier Männer in
unserer Erzählung geklärt zu sein. Also wird nicht mehr geredet, sondern gehandelt. Not sehen –
das richtige Werkzeug haben - das Dach abdecken – sich von keinem Hindernis schrecken lassen - an einem Strang ziehen und kameradschaftlich anpacken.
Liebe Frauen und Männer aus den Einsatzkräften: Sie wissen, wie Sie anpacken müssen. Wenn andere verzweifeln, bleiben Sie ruhig. Wo andere sich abwenden oder flüchten, gehen Sie hinein. Rund um die Uhr stehen Sie in Bereitschaft. Ohne große Worte. Ihre Einsätze zeugen von jahrelangem Training, klaren Zuständigkeiten, geübten Handgriffen, von einem Miteinander, das auch Kameradschaft genannt wird.
Dabei ist Kameradschaft im Laufe unserer Geschichte ein sensibler Begriff geworden. Geprägt durch das Erleben von Krieg und Vernichtung. Besetzt von Stammtischgehabe und Männerbünden. Politisch damals missbraucht und heute wieder von „rechten“ Akteuren. Falsch verstanden als Korpsgeist, der bewusst oder unbewusst auch mal gegen die Menschenwürde verstoßen kann. Richtig verstanden bleibt das innere Band der tiefen „Hilfsgemeinschaft“ grundlegend für die Daseinsvorsorge der Menschen, die Sie leisten. Bei jungen Menschen taucht in ihrer Alltagssprache „Kameradschaft“ eigentlich nicht mehr auf. Aber im Miteinander mit den Erwachsenen bei Übungen und Einsätzen haben sie etwas Entscheidendes über dieses eigentlich fremde Wort Kameradschaft gelernt. Sie haben erfahren, was die 15-jährige Vanessa so beschreibt: „Sich aufeinander verlassen können, ohne lange darüber im Einsatz nachzudenken – das bedeutet für mich Kameradschaft. Und auch der respektvolle Umgang untereinander.“ Thomas, Vanessa und die anderen Jugendlichen setzen sich klar ab von manchen Tendenzen. Für sie geht es um eine Gemeinschaftsaufgabe für die Gesellschaft. Es geht um Helfen, Retten, Löschen, Bergen, Ordnen. Es geht um das Wohl anderer Menschen, nicht um eigene Interessen.
Liebe Einsatzkräfte, anders als die vier Kameraden in der biblischen Erzählung werden Sie in Ihrer Aufgabe mittlerweile oft behindert. Sie gehören zu den Berufsgruppen, die sich den übelsten Beschimpfungen und Bedrohungen nicht nur in den sozialen Medien, sondern im realen Leben aussetzen müssen. Die Vorstellung, dass jeder und jede für den Zustand einer Gesellschaft einen eigenen Anteil der Verantwortung trägt, gerät bei Gaffern und Hatern mehr und mehr aus dem Blick. Und trotzdem bleiben Sie treu in Ihrem Auftrag. „Ich möchte diese Arbeit tun, um den Menschen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können“ sagte mir einmal ein Polizeibeamter.
Kürzer und besser kann man es nicht sagen. Niemals vergesse ich die Nachtstreife, die ich in einem Bezirk vor Jahren in Neukölln in einem Streifenwagen mitgefahren bin. Alle möglichen Einsätze. Das Team, eine Frau, ein Mann. Beide nicht einmal halb so alt ich wie. Aber ihre Souveränität, ihre Ruhe und Klarheit auch bei Beleidigungen, beeindruckten mich. Menschen helfen, die sich selbst nicht mehr helfen können. Ihre Arbeit gewährt unserer Gesellschaft Freiheit und Schutz. Ohne Sie geht es nicht!
Wie trägt die Kameradschaft Sie? Ich denke an Situationen nach schweren Einsätzen. Der männliche Polizist in der Nachtstreife in Neukölln hatte bei einem Schusswechsel wenige Jahre zuvor seinen Kollegen verloren. In Ihren Einsätzen werden Sie mit Tod und Verletzungen von Menschen konfrontiert und zum Teil auch selbst lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt. Das Miterleben und die Verantwortung für das Leben anderer ist belastend. Es gilt Bilder und Erleben zu verarbeiten, die sich nach Schichtende nicht einfach an den Haken hängen lassen. Lähmend können diese Eindrücke sein. Lähmend vielleicht auch der eigene Anspruch oder die gegenseitigen Erwartungen. Wem können Sie sich anvertrauen? Mit wem teilen Sie diese Bilder? Haben Sie Kameradinnen und Kameraden, die Sie dann tragen? Wer öffnet für Sie Dächer und Fenster, um wieder heil zu werden? „Es gibt Arbeit, die über die Kräfte geht“ - wir haben es gerade in dem Lied von Manfred Siebald gehört und gesungen. Das geht Hand in Hand mit dem unverzichtbaren Dienst, den Sie für uns alle leisten. Wir wollen Ihnen heute deshalb wieder sagen: Wir sind für Sie da! Seelsorgerinnen und Seelsorger stehen für Sie bereit. Nehmen Sie sie in Anspruch, wenn Sie uns brauchen.
Vielleicht denken Sie: Schön und gut, aber das ist nicht meine Welt! Ich bin weit weg von Kirche und Glauben. Ich habe so viel Leid gesehen, wo war da Gott? Es gibt genügend Gründe, um an der Güte des Lebens zu zweifeln. Hoffnung lernen heißt auch Enttäuschungen ernst nehmen. An Gott glauben meint auch an Gott leiden. Leiden an seiner Dunkelheit, leiden an seiner Abwesenheit. Wie oft mag der Gelähmte um Heilung gebetet haben und nichts ist geschehen? Wie oft ist es Ihnen schon so gegangen? Gott zu vermissen, ihn herbeizusehnen, gehört zu unserem erwachsenen Gottesglauben. An den Tagen, an denen wir konfrontiert werden mit Leid
und Unglück, buchstabieren wir die alte Frage der Psalmen: Wo bleibst du Gott? Wo bleibst du Trost der ganzen Welt? Gottesdienste sind ein Ort, wo diese Fragen gestellt werden. Wo wir klagen und bitten und fragen.
Solange wir fragen, geben wir den letzten Grund des Glaubens nicht auf. Wir steigen Gott aufs Dach und lassen ihn nicht in Ruhe. Wir bleiben hoffnungsvoll, dass Gott uns nicht allein lässt.
In der biblischen Geschichte heißt es: "Als Jesus ihren Glauben sah...", den Glauben der vier Dachzerstörer, da heilte er den gelähmten Freund. Die Frage ist: Woran sah Jesus denn ihren Glauben? Das Evangelium erzählt nichts davon, dass sie irgendetwas Frommes gesagt hätten, scheinbar haben sie überhaupt nichts gesagt. Sie hatten nur ihre kräftigen Arme, ihre zupackenden Hände, ihren Plan mit dem Dach und ihre Kameradschaft untereinander und zu ihrem Freund. Und sie hatten das tiefe Vertrauen, dass dieser Mann aus Nazareth ihre Hoffnung und ihre Kameradschaft nicht enttäuschen würde. Darin steckte ihr Glaube, den Jesus gesehen hat. Eine Kameradschaft, die trägt und die die Hoffnung nicht aufgibt. Ein Glaube, der nicht frömmelnd und schönredend daherkommt, sondern handfest und zupackend. Ein solcher Glaube rettet Menschen und stärkt die Gemeinschaft.
Ich danke Ihnen für Ihren Dienst.
Amen

Dankworte im Blaulichtgo􀆩esdienst von Diözesanbischof Heiner Wilmer (kath.)

Dankworte im Blaulichtgo􀆩esdienst von Diözesanbischof Heiner Wilmer (kath.)
Wenn wir ein Blaulicht sehen und ein Mar􀆟nshorn hören, weichen die meisten von uns zurück.
Sie nicht. Sie stellen sich der Situa􀆟on. Sei es Feuer, sei es ein medizinischer No􀆞all, sei es Gewalt, sei
es eine Naturkatastrophe oder eine unklare Situa􀆟on an einer Grenze.
Unter „Blaulicht“ werden ganz verschiedene Dienste zusammengefasst, die aber einiges gemeinsam
haben:
Menschen in Not, Menschen, die sich in Gefahr befinden, Menschen die Hilfe brauchen, werden
unterstützt.
Sie bringen Licht in dunkle Situa􀆟onen.
Nennen möchte ich ausdrücklich:
Sie, die sie beruflich oder ehrenamtlich bei der Feuerwehr tä􀆟g sind.
Sie, die Sie im Re􀆩ungsdienste tä􀆟g sind, bei den Johannitern, bei den Maltesern, beim Deutschen
Roten Kreuz, beim Arbeiter Samariterbund, um nur einige zu nennen.
Sie, die Sie als Polizis􀆟nnen und Polizisten im Land und im Bund Dienst tun.
Sie, die Sie beim Zoll tä􀆟g sind.
Sie, die Sie sich in der DLRG engagieren.
Sie, die Sie sich beim Technischen Hilfswerk für andere engagieren.
Und natürlich auch Sie, die Seelsorgerinnen und Seelsorger für den No􀆞all.
Stellvertretend für die Mitbürgerinnen und Mitbürger in Niedersachsen möchte ich Ihnen an dieser
Stelle ganz ausdrücklich unseren Dank sagen.
Ohne Sie würde unsere Gesellscha􀅌 nicht funk􀆟onieren:
Sie begeben sich in Gefahr, damit es anderen wieder gut gehen kann. Sie sorgen für Sicherheit, damit
andere meinen Schaden nehmen. Sie re􀆩en Leben.
Dabei ist, und das ist ein gesellscha􀅌liches Problem, Ihr Einsatz heute nicht nur durch die jeweilige
Einsatzsitua􀆟on erschwert: Bei Ihren Einsätzen werden Sie immer häufiger durch die Menschen in
Gefahr gebracht, die Sie unterstützen wollen, durch Anfeindungen und durch physische Gewalt. Das
macht Ihren Einsatz noch herausfordernder, als er ohnehin schon ist.
Wir alle nehmen das wahr und wir nehmen das ernst. Und wir sollten alles dafür tun, diese
gesellscha􀅌lichen Herausforderungen soweit es geht zu verändern.
Umso mehr gilt Ihnen unser Dank:
Wir danken Ihnen, dass Sie Ihre Berufung, anderen zu helfen, zum Beruf gemacht haben.
Und wir danken Ihnen, die Ihren Dienst ehrenamtlich tun, dass Sie und wie Sie Ihre Freizeit zum
Wohle anderer inves􀆟eren. Und ich weiß, bei vielen wird hier sehr, sehr viel Zeit und Kra􀅌 und
Herzblut inves􀆟ert.
Von Herzen: Danke für das Licht, das Sie bringen.